Auf zur Geschichtsrallye!

24. November 2017

Ganz vergessen, hier gehts weiter:

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War da was?

17. Februar 2015

Aus der Jungle World No.48/ 2014

Im neuen Nahen Osten spielen die Palästinenser und der israelisch-palästinensische Konflikt nicht mehr die Hauptrolle

Wenn es eine politische Gruppierung gibt, die zu den großen Verlierern des »Arabischen Frühlings« zählt, dann sind es die Muslimbrüder und ihr palästinensischer, in Gaza regierender Zweig, die Hamas. Von den Hoffnungen, die sich die Hamas einmal machen konnte, als sie noch zu den Nutznießern der arabischen Aufstände zu zählen schien, ist nichts geblieben; seit voriger Woche stehen die Muslimbrüder nun auch einträchtig neben dem IS-»Kalifat« auf der Terrorliste der Vereinigten Arabischen Emirate. Vorbei die Zeiten, als man mit einem zum eigenen Lager gehörenden ägyptischen Präsidenten von der Zukunft träumen konnte. Bruder Mohammed Mursi sitzt im Knast und sein Nachfolger, ein General eher alter Schule, lässt gerade in bewährter Manier des alten Nahen Ostens eine Schneise durch dichtbesiedelte Wohngebiete sprengen, um eine Pufferzone zur Grenze nach Gaza anzulegen.

Neue Konfliktlinien, neue Akteure und veränderte Interessenlagen prägen einen neuen Nahen Osten, dessen Konturen immer deutlicher sichtbar werden. Die Hamas ist dabei wie der ganze israelisch-palästinensische Konflikt, dem sie ihre Prominenz verdankt, marginalisiert, auch mental. Der Angriff Israels auf den Gaza-Streifen im Sommer hat das einmal mehr beweisen. Die mediale Aufmerksamkeit ziehen die PR-Profis des IS auf sich und aus Gaza melden sich auch schon erste Anhänger des »Kalifen«. Und so ist allerorten von Alawiten, Kurden und Yeziden die Rede, von Schiiten und Sunniten, aber kaum noch von Palästinensern. Nur wenn kurzzeitig Bilder von bösen Israelis und ihren Opfern hochschwappen, findet sich noch ein hasserfüllter Mob in europäischen Städten zusammen, der so die eigenen Widersprüche übertünchen kann und dankbar die Wiederkehr des alten Nahen Ostens zelebriert.

Terroranschläge wie die Todesfahrt eines Hamas-Mitglieds über eine Straßenbahnhaltestelle in Jerusalem im Oktober sind, etwas zynisch gesprochen, wie ein Schrei nach Aufmerksamkeit; es geht darum, den großen Zentralkonflikt des alten Nahen Ostens wieder zu befeuern, woran die wichtigen regionalen Akteure aber gerade kein Interesse haben. Der Konflikt um Israel und Palästina liegt nun quer zu den übrigen Kampffronten der Region: Saudi-Arabien, Jordanien und Israel haben gemeinsame Interessen und kooperieren längst im Süden Syriens, wo nicht zufällig Rebellengruppen auf einem stetigen Vormarsch sind, die nicht wie im Rest des Landes von Jihadisten dominiert werden. Im größeren regionalen Kontext eint diese Länder die Gegnerschaft zum Iran und die Auseinandersetzung mit dem Rückzug der USA. Es sind ja nicht nur die Israelis, die in Washington mittlerweile regelmäßig düpiert werden, sondern auch die Saudis. Präsident Barack Obamas diverse Nahost-Initiativen sind so schnell vergessen wie angekündigt.

Dasselbe gilt für die Politik der EU. Wieder einmal meldeten sich gerade »die Europäer« zu Wort, diesmal die europäischen Sozialdemokraten. Ihr Fraktionsvorsitzender im EU-Parlament, Gianni Pittella, hat gerade der Welt erzählt, die neue EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini werde »die EU zu einem führenden Akteur in der Region machen«. Nachdem alle Beteiligten einmal laut gelacht haben, tritt wieder die Realität in ihr Recht. Und das heißt: Akteure wie die Hamas werden nun wieder verstärkt auf Terror setzen, das bedingt die Aufmerksamkeitsökonomie. Doch der alte Nahe Osten wird nicht wiederkommen; eine gute Nachricht ist das trotzdem nicht.

 

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Selbst ist der Scheich

17. Februar 2015

Aus der Jungle World No.46/ 2014 

Saudi-Arabien, die Golfmonarchien und Ägypten planen angeblich ein Militärbündnis gegen Islamisten. Viel ist nicht davon zu erwarten.

Der neue Nahe Osten formt sich um: Ein Element, das in Zukunft zur Region gehören könnte, ist eine sunnitische Eingreiftruppe der Autokraten gegen die Jihadisten. Angeblich planen Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten eine gemeinsame militärische Interventionseinheit für den Nahen Osten. Ob der ambitionierte Plan tatsächlich im Bereich des Möglichen liegt, sei dahingestellt. Wirklich mobile, moderne Militärkontingente kosten nicht nur viel und sind technisch sehr anspruchsvoll – die Bundeswehr lässt grüßen –, noch problematischer erscheint die notwendige Kooperationsbereitschaft sowie die politische Ge- und Entschlossenheit. Ob man das alles erwarten kann, wenn der ehemalige General Abd al-Fattah al-Sisi mit den Golfherrschern am Tisch sitzt und ob da etwas anderes herauskommen kann, als dass die Golfherrscher zahlen und von den USA die Technik kaufen, während al-Sisis Ägypter als bessere Söldner dienen müssen, kann man bezweifeln.

Aber der Plan als solcher passt zur aktuellen Lage im Nahen Osten. Der strategische Rückzug der USA aus der Region und Barack Obamas Hinwendung zum Iran haben die bisherigen Verbündeten der USA zusammen mit dem Aufblühen des »arabischen Frühlings« kalt erwischt. Jetzt geht auch noch der »Islamische Staat« (IS) mit seinem Terrorangebot unter den Sunniten hausieren und es ist eine Frage der Zeit, bis die bärtigen Kämpfer die Grenze nach Jordanien oder Saudi-Arabien passieren werden. Der seltsam ziellose Kampf von Obamas Koalition gegen den IS dient augenscheinlich zu direkt den Interessen des iranischen Regimes, als dass Saudi-Arabien und die Emirate mit ihrer Teilnahme an der Militäraktion nicht auf Dauer Probleme bekommen würden. Schließlich geht es hier gegen ihre eigene Klientel, sunnitische Araber. Andererseits ist es selbst am Golf keine Frage mehr, dass der Jihadismus des IS oder der islamistischen Milizen in Libyen aus Gründen der Selbsterhaltung aktiv bekämpft werden muss.

Al-Sisi hat überdies das Problem mit der Sicherheitslage auf der Sinai-Halbinsel, wo ägyptische Soldaten bei ihrem Antiterrorkampf Teile der Bevölkerung so drangsalieren wie der ehemalige irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki die sunnitischen Iraker. Mit entsprechenden Folgen: Die Jihadisten haben sich im Sinai fest eingenistet. Die hier aktiven Kämpfer der ägyptischen Ansar Bayt al-Maqdis greifen nicht nur die ägyptische Armee recht spektakulär an und untergraben mit ihren Anschlägen al-Sisis Image als General, der endlich für Ordnung sorgt – gerade haben sie auch dem IS den Treueid geschworen. Auch wenn das praktisch vorerst wenig Auswirkungen zeigen mag – eine Ausweitung des erfolgreichen Prinzips IS per Franchise wird kommen. Und langsam muss man am Golf und in Kairo die Sache wohl oder übel selbst in die Hand nehmen. Genauso wie in Libyen und demnächst vielleicht im Jemen.

Eine »sunnitische« Militärplanung zielt natürlich auch auf die vergleichsweise erfolgreichen Interventionen des Iran in Syrien und im Irak. Da würde man gerne auch endlich einmal dagegenhalten können. Aber allein schon ein Blick in die Geschichte der Region mit dem verheerenden Einsatz der ägyptischen Armee im jemenitischen Bürgerkrieg der sechziger und siebziger Jahre lässt bei diesem Gedanken erschaudern.

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Der IS als Katalysator

17. Februar 2015

Aus der Jungle World No.43/ 2014

Ein gemeinsamer Kampf westlicher Staaten mit Akteuren des Nahen Ostens gegen den »Islamischen Staat« (IS) gestaltet sich schwierig, weil sich deren Interessen oft mit denen der Islamisten überschneiden. Zudem ist der Iran, aber auch Saudi-Arabien keinesfalls der richtige Partner für eine Koalition gegen Jihadisten.

Das Desaster könnte nicht offensichtlicher sein: Dem Eingeständnis des US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama, man habe den »Islamischen Staat« (IS) »unterschätzt«, folgte das Urteil der US-Armee, sie werde den IS nicht alleine mit der Luftwaffe ohne Bodentruppen bezwingen können. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Admiral John Kirby, erklärte bezüglich der umkämpften syrisch-kurdische Stadt Kobanê, die US-Regierung habe derzeit keinen »willigen, fähigen und effektiven Partner für den Bodeneinsatz innerhalb von Syrien«. Das ist auch kaum verwunderlich: Bereits vor zwei Jahren wies die Regierung Forderungen nach einem Engagement in Syrien mit dem Hinweis zurück, man wisse gar nicht genau, wer da kämpfe.

Der Luftwaffeneinsatz der aus über 20 Ländern bestehenden Anti-IS-Koalition, die Obama zusammengebracht hat, ist eine Schauveranstaltung, die demonstrieren soll, es werde etwas gegen den IS unternommen – denn ein strategisches Ziel hat die ganz schnell zusammengeschusterte Militäraktion nicht. Und wenn schon die militärisch Zuständigen offen sagen, dass dem IS so nicht beizukommen sei, woher sollte nun so schnell eine verlässliche und schlagkräftige, regional verankerte Bodenkampftruppe gegen den IS kommen? Dass sogar schon die CDU anfängt, mit der PKK zu liebäugeln, ist keine Lösung dieses Problems, sondern Ausdruck eines Dilemmas und im Grunde eines grotesken Versagens von internationaler Politik.

Obama hat drei Jahre lang immer wieder versprochen, in die Ausbildung und Ausrüstung der syrischen Aufständischen zu investieren – passiert ist nichts. Der Kampf gegen Bashar al-Assad wurde den regionalen Akteuren überlassen, der Türkei und den Golfstaaten, die nach eigener Interessenlage – und gerne auch in gegenseitiger Konkurrenz – in Syrien mit Waffen, Geld und Logistik interveniert haben. Das absehbare Ergebnis war die mittlerweile wohl vollständige Zersetzung der ursprünglich aus professionellen Überläufern bestehenden Free Syrian Army und der nicht primär religiös motivierten Rebellengruppen. Geld und Waffen haben nämlich nur die Jihadisten oder zumindest Islamisten aller Couleur bekommen. Die Syrien-Politik des »Westens« unter der Schirmherrschaft Obamas beschränkte sich dagegen auf Symbolpolitik und die Hoffnung, das Problem mit Syrien und der Region werde sich irgendwie von selbst lösen. Nun droht die um sich greifende Instabilität die ganze Region zu erfassen. Diese Aussicht zwingt selbst den US-Präsidenten zu handeln – oder zumindest so zu tun.

Die bemerkenswerteste Volte ist derzeit die strategische und taktische Unterstützung der iranischen Machtinteressen in der Region durch die USA. Obama hat sich hier in eine Position manövriert, in der er nur verlieren kann. Die US-Airforce und ihre Verbündeten dienen nun im Grunde als Luftwaffe des iranischen Regimes und seiner schiitischen Schützlinge. Der überhastete Abzug der US-Armee aus dem Irak 2011 hat die Bagdader Zentralregierung der iranischen Einflussnahme überlassen. Und nun müssen die USA ohne entscheidende Mitsprachemöglichkeit in der irakischen oder iranischen Regierung mit ihren Hubschraubern und Kampfjets die iranischen Interessen gegen Jihadisten schützen. Dabei ist die »Islamische Republik Iran« seit rund 35 Jahren für die Verbreitung von islamischem Extremismus selbst federführend verantwortlich.

Das kann einem schon zu Kopfe steigen: Der bisher im Verborgenen agierende Qassem Suleimani, Chef der iranischen al-Quds-Brigaden, einer Elitetruppe, die für militärische Interventionen im Ausland und Terroranschläge zuständig ist, hat jüngst im Irak mit einer schon leicht bizarr wirkenden Serie von Schnappschüssen und Videos diesen Erfolg des iranischen Regimes gefeiert. Da plaudert derselbe Mann, der als graue Eminenz vielleicht mehr Wissen als irgendjemand sonst um die Terrorszene des Nahen Ostens besitzt, mit Peshmergas, tanzt vor einem Panzer herum oder posiert im Special-Forces-Look. Natürlich immer mit Palästinensertuch, schließlich hat sich seine Truppe, wie ihr Name schon sagt, als Ziel der Eroberung Jerusalems verschrieben. Die Fotoknipserei des iranischen Oberkommandierendem im Irak wurde de facto beschützt von US-Kampfjets, was noch etwas pikanter wirkt, wenn man bedenkt, dass Suleimanis Waffenhilfe für die irakischen Aufständischen konkret mit dem Tod von rund 200 US-Soldaten in Verbindung gebracht wird.

Aber auch der abgebrühte Taktierer Assad mag sich gewundert haben, dass die USA nun zu seinen Gunsten Bomben abwerfen – in den ersten Angriffswellen wurden mehr Ziele der islamistischen Gruppe Jabhat al-Nusra getroffen als des IS. Doch im Gegensatz zum »Islamischen Staat« kämpft die mit al-Qaida verbundene Gruppe sehr energisch gegen die Truppen Assads und kooperiert mit anderen Rebellen. Vor einem Jahr, als das Assad-Regime mit großen Giftgasattacken die ominöse »rote Linie« Obamas überschritt, hatte dieser sich weiterhin passiv verhalten. Nun mussten die Syrerinnen und Syrer die Erfahrung machen, dass derselbe US-Präsident plötzlich Bomben in Syrien abwerfen lässt, zur Freude der bedrängten Truppen Assads, deren Flugzeuge bereitwillig und weiträumig das Einsatzgebiet für die »Luftschläge« gegen den »Islamischen Staat« und Jabhat al-Nusra meiden – und von einer desinteressierten Weltöffentlichkeit unbemerkt ihre Luftangriffe auf zivile Ziele verstärken.

Verwackelte Handyvideos von in den Trümmern ihrer Häuser verschütteten syrischen Familien hat die Welt bis zum Überdruss gesehen. Die auf die Rezeptionsgewohnheiten eines westlichen Publikums zielenden Propagandavideos des »Islamischen Staats« sind dagegen eine mediale Attraktion, über die sich das dankbare politische Feuilleton die Finger wundschreiben kann. Bei der Zahl der systematisch Gefolterten, Vergewaltigten und Getöteten liegt jedoch das Assad-Regime noch weit vor dem »Islamischen Staat«.

Das ziellose Eingreifen der USA und ihrer Verbündeten nützt vor allem dem »Islamischen Staat« selbst. Seine Klientel sind die Sunniten, und je deutlicher sich abzeichnet, dass die Anti-IS-Koalition iranischen Interessen dient, desto einfacher hat es der IS, die eigenen Reihen geschlossen zu halten. Für die Bevölkerung des sogenannten sunnitischen Dreiecks im Irak sind die vom Iran gesteuerten schiitischen Milizen noch weniger eine Alternative zum IS, als es die als Besatzungsarmee empfundene irakische Armee war. Den geordneten Ausbau des »Islamischen Staats« mag das Bombardement stören, doch eine Situation, in der die teuersten und modernsten Flugzeuge der Welt Jagd auf einzelne Jeeps oder von Jihadisten bemannte Motorräder machen müssen, kann sich für den IS nur vorteilhaft entwickeln.

Die wohl prekärste Position in der großen Koalition Obamas gegen den »Islamischen Staat« hat dabei Saudi-Arabien. Dass die US-Luftwaffe einmal in den Ruch geraten könnte, iranischen Interessen zu nützen, werden sich die Strategen in Riad kaum je vorgestellt haben. Dass sie dabei helfen, andere Sunniten zu bombardieren, die ihre ureigene Klientel darstellen, zeigt vor allem die Verfahrenheit auch der saudische Machtpolitik. Die Angst vor einem »Islamischen Staat«, der die Grenzen zu Jordanien und Saudi-Arabien überschreiten könnte, hat ebenso wie die jahrelange Lethargie der früheren Schutzmacht USA in Sachen Nahost-Politik offensichtlich zu der Erkenntnis geführt, dass man selbst tätig werden muss. Aber wie lange wird das gutgehen, wenn es Irans Interessen zu offensichtlich dient und die eigene radikale religiöse Propaganda beginnt, auf die Herrscher in Riad zurückzuschlagen?

Völlig ignoriert von der Weltöffentlichkeit hat zudem im Saudi-Arabien benachbarten Jemen eine vom Iran unterstützte Schiitengruppe innerhalb weniger Wochen ihre Hauptkonkurrenten – darunter die Verbündeten Saudi-Arabiens – aus dem Weg geräumt (Jungle World 35/2014). Obamas Anti-IS-Koalition hat nicht nur kein weiterführendes militärisches Ziel, außer die bemerkenswerte Dynamik des »Islamischen Staates« etwas zu bremsen – sie hat auch eine Sollbruchstelle. In dem Augenblick, in dem einer der regionalen Akteure sich einen kleinen Vorteil gegenüber der Konkurrenz durch einen dann vielleicht etwas gestutzten »Islamischen Staat« verspricht, wird dieser auch wieder diverse Unterstützer finden. Aber der IS wird zunächst bleiben und die prekäre Balance im Nahen Osten dadurch unwiderruflich erschüttert. Welche Lebensäußerung dieses »Islamischen Staats« man auch am erschreckendsten findet, seine stolz präsentierte Inhumanität, die Liebe zur Gewalt oder gar die Wiedereinführung der Sklaverei – seine Funktion als Katalysator für die Probleme im Nahen Osten ist am Unheilvollsten. Der Nahe Osten nach dem IS wird ein anderer sein. Die Dynamik und die konsequente Ausrichtung des IS erlauben keine Kompromisse und keinen Zeitaufschub. Hier werden schlagartig Konflikte erhitzt, deren beständiges, aber langsames Schwelen der alte Nahe Osten immerhin einigermaßen berechenbar garantieren konnte.

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Die Yolo-Jihadisten

17. Februar 2015

Aus der Jungle World No.37/ 2014  (zusammen mit Thomas von der Osten-Sacken)

Von 9/11 zur Ausrufung des »Kalifats«, von al-Qaida zum »Islamischen Staat«: Aus einer ehemaligen al-Qaida-Filiale ist das erfolgreichste Jihadisten-Projekt im Nahen Osten geworden.

Ayman al-Zawahiri, das Oberhaupt von al-Qaida, der sich vermutlich im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet versteckt hält, hätte gar keine poetischere und treffendere Formulierung finden können als seinen Aufruf, sich der »Karawane des Jihad« anzuschließen. Genau das ist al-Qaida nämlich. Ein auf langsames, aber beharrliches Vorwärtskommen eingestellter Zug durch unwirtliche Gegenden, über denen Drohnen schwirren. Unterwegs müht man sich unentwegt, die diversen jihadistischen Splittergruppen, die am Wegesrand stehen, davon zu überzeugen, mitzukommen auf den langen Marsch ans große Ziel. Auch bei al-Qaida träumt man zwar vom Kalifat, aber das soll erst nach dem Showdown kommen. Vorher gilt es, mit möglichst spektakulären Terroranschlägen – 9/11 war der größte, es folgten die in Madrid, London, Djerba und so weiter – für den Jihad zu werben und die eigene Marktführerschaft beim islamistischen Terror zu verteidigen. Und die ist angezählt.

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Jihadisten gegen Jihadisten

17. Februar 2015

Aus der Jungle World No.35/ 2014

Der Jemen zerfällt, schiitische und sunnitische Islamisten erweitern ihren Machtbereich.

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Kalifat der Alpträume

17. Februar 2015

Aus der Jungle World No.34/ 2014

(zusammen mit Thomas von der Osten-Sacken)

Der Erfolg des »Islamischen Staats« beruht auf der tiefen Zerrüttung der nahöstlichen Gesellschaften und den politischen Machtspielen der regionalen Regime. Derzeit setzen dem nur die Kurden etwas entgegen.

von Oliver M. Piecha und Thomas von der Osten-Sacken

Das Phänomen des »Islamischen Staats« ist mit der Methodik des alten Nahen Osten schnell erklärt: Es handelt sich um eine weitere zionistische Verschwörung, in der ein vom Mossad trainierter israelischer Schauspieler die Rolle des »Kalifen« Abu Bakr al-Baghdadi einnimmt. Diese in sozialen Netzwerken weitergereichte Verschwörungstheorie verweist auf ein grundlegendes Problem, das den derzeitigen Erfolg der Jihadistenorganisation begleitet. Der »Islamische Staat« setzt den ideologischen Inhalt des Islamismus in so bahnbrechender wie simpler Weise und so eins zu eins im Alltagsleben um, dass einfach nicht sein darf, was sich doch per ausgereifter Medienpropaganda stolz selbst präsentiert. Beim shariakonformen Händeabhacken, beim Kreuzigen und Ausmerzen von Ungläubige beruft sich der IS auch nur auf dieselben schriftlichen Anweisungen wie Generationen von Islamisten. Das »Kalifat« bringt den politischen Islam so einerseits auf den Punkt und transzendiert ihn gleichzeitig. Der IS ist nicht mehr alleine unter dem Gesichtspunkt des Islamismus zu erklären. Der Washingtoner Bürochef des Senders al-Arabiya, Hisham Melhem, fand dafür die hübsche Formulierung, der IS sei »die erste moderne Terrororganisation, die als Sekte handele, angeführt von einem Oberhaupt, das wie ein Sektenführer eines geheimen Todeskults handelt«.

Der größte Affront des IS liegt wohl in der verstörenden Attraktivität seines gnadenlos brutalen »Gesellschaftsmodells« für so viele Jihadaspiranten. Doch die Umstände, die den Erfolg des »Kalifats« ermöglicht haben, sind gar nicht geheimnisvoll, dafür aber umso deprimierender: Der »Islamische Staat« lebt von der tiefen Zerrüttung der nahöstlichen Gesellschaften und den politischen Machtspielen der Regionalmächte. Er ist auch ein Produkt der westlichen Nichtintervention und der unterlassenen Unterstützung demokratischer Kräfte, vor allem in Syrien. Der Iran, die Türkei, Bashar al-Assads Regime und die Golfstaaten, alle haben geglaubt, den IS gegen ihre Gegner und zu ihrem machtpolitischen Vorteil einspannen zu können. Das »Kalifat« wuchs so im Windschatten der regionalen Konflikte ungestört heran. Den Nährboden für die Jihadisten lieferte dabei die aus allen Fugen geratene Gesellschaft einer Region, in der Diktatoren jahrzehntelang alle Entwicklungen blockiert haben, während eine Melange aus Gewaltverherrlichung, religiösem Eiferertum und panarabischen Allmachtsphantasien die Stelle von Bildung und sinnvollen Zukunftsinvestitionen eingenommen hat.

Dennoch ist unübersehbar, dass der IS in den arabischen und sunnitischen Gebieten auch seine überzeugten Anhänger hat. Ohne diese Unterstützung wäre die Herrschaft und Expansion des »Kalifats« nicht möglich. Genau das zeigt auch, wie kaputt diese Gesellschaften mittlerweile sind. Dass der »Islamische Staat« für Sicherheit sorgt, die konkurrierenden Milizen und Warlords ausgeschaltet und ein krudes, aber konsequent exekutierendes Rechtssystem aufgebaut hat, wird da bereits als Wohltat erfahren. Das Ausrufen des Kalifats und die Einführung der Sharia entsprechen sowieso nur dem, was staatlich alimentierte Prediger von Bagdad bis Riad jahrzehntelang als religiöse Normen verkündet haben. Da hilft es auch nichts mehr, dass Saudi-Arabien in diesem Frühjahr die Teilnahme am Jihad in Syrien für seine Staatsbürger unter Strafe gestellt und Isis als Terrororganisation eingestuft hat.

Die Idee des »Islamischen Staats« ist in die Welt gesetzt. Und der IS macht da weiter, wo den abgehalfterten Diktaturen und staatlichen Klientelversorgungsanstalten die Dynamik abhanden gekommen ist. Die Vertreibung und Ermordung von Minderheiten setzt im Grunde nur über Dekaden eingeübte Verhaltensweisen weiter fort: Wenn der IS nun in den leergeräumten Dörfern und Städten der Yeziden und Christen sunnitische Araber zur Herrschaftsarrondierung ansiedelt, dann ist dies bloß die Fortsetzung einer panarabischen Vertreibungspolitik, wie sie Saddam Hussein stilbildend durchexerziert hat. Der »Islamische Staat«, das Kalifat der Albträume, ist das konsequente Fortverwesen nahöstlicher Realpolitik von Jahrzehnten. Vieles an Gestus und Rhetorik der Jihadisten erinnert nicht umsonst an die finstersten Zeiten des 20. Jahrhunderts, an destruktive Männerbünde wie die deutschen Freikorps nach dem Ersten Weltkrieg oder das so barbarische wie herrisch-selbstsichere Auftreten von Nationalsozialisten im Vernichtungswahn. Man kann den IS auch als Bewegung betrachten, die in einem wahnhaften dynamischen Rausch die Schaffung eines idealen Kunststaats in ihrem Sinne angeht. Wahrscheinlich ahnen die Gotteskrieger selbst, dass dieser »Staat« nur sehr kurzlebig sein wird. Doch bis zu seinem Untergang mit – dazu braucht es keine Prophetie – noch einmal gesteigerter Gewaltorgie werden sich die Jihadisten ausleben können wie nie in ihrem Leben. In einem »Kalifat« ohne sichtbare Weiblichkeit, wo sich geifernder Puritanismus und Sklavenmärkte für die Frauen der Ungläubigen wie in einem Trash­film zusammenfinden.

Die wichtigsten Gegner des Kalifats sind dieser Tage die Kurden, deren nordirakisches Autonomie-Gebiet so etwas wie den Gegenentwurf zu den verrohten und verwüsteten Gebieten der arabischen Bevölkerung darstellt. Ist das System auch korrupt und ineffizient, so investierte man in Kurdistan in der vergangenen Dekade Geld doch lieber in Straßen- und Hochhausbau, errichtete Einkaufzentren und Vergnügungsparks und pries sich international als der andere, friedliche und prosperierende Irak an. Dass dies teilweise der Wahrheit entspricht, ist auch ein Hinweis darauf, dass die landläufige Erklärung, mit dem angeblich so verheerenden dritten Irak-Krieg unter George W. Bush habe das ganze Elend seinen Anfang genommen, eben nicht funktioniert. Wenn inzwischen die Peshmerga, anders als ihr Name sagt, nicht mehr den Tod herbeiwünschen, sondern eher Schmerbäuche angesetzt haben und vor den kampferprobten, sich nach dem Paradies sehnenden Jihadisten zurückweichen mussten, dann zeugt das von einem positiven Zivilisierungsprozess, der eben auch in dieser Region möglich war und ist. Dagegen können die Milizen und die im Guerillakrieg erfahrenen Verbände der PKK und ihrer angehängten Organisationen zwar der Schlagkraft des IS militärisch etwas Adäquates entgegensetzen, aber wenig spricht dafür, dass ihr Eingreifen zu vermehrter Toleranz und Pluralität führen wird. Wo sie im benachbarten syrischen Kurdistan die Macht ausüben, regieren sie mit harter Hand ganz im Stile des alten Nahen Osten.

Die bittere Lehre für Yeziden, assyrische Christen und teilweise auch für die nordirakischen Kurden ist, dass das Ausklinken aus dem Wahn der Region, der Verzicht auf mörderische Ideologie und Militarisierung im Grunde doch lebensgefährlich ist. Man steht schließlich alleine da, wenn die schwarzen Banner des »Kalifats« in einer Staubfahne am Horizont auftauchen. Die nun ad hoc zusammengeschusterte Koalition aus einem unwilligen, zum Eingreifen gezwungenen US-Präsidenten, Europäern, die darüber streiten, ob man den Kurden nicht doch nur ein paar Sanitätskoffer liefern soll, verschreckten Gerontokraten am Golf und einer neuen irakischen Staatsführung von Teherans Gnaden wird, auch dazu bedarf es keiner großen Prophetengabe, genau so lange halten, bis das »Kalifat« so weit gestutzt ist, dass sich erneut jemand einen kleinen taktischen Vorteil von seiner Existenz verspricht.

Assad macht das bereits vor, er ist ein Meister in diesem destruktiven Nahost-Spiel. Zwar hat seine Luftwaffe in der vorigen Woche das vom IS kontrollierte Raqqa medienwirksam bombardiert, aber schon lässt er auch Bomben auf die syrischen Rebellen regnen, die sich bei Aleppo neu positioniert haben, um die dortige Offensive des IS aufzuhalten.

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Verkitschter Terror

17. Februar 2015

Aus der Jungle World No.33/ 2014

Die Islamisten des »Islamischen Staats« scheinen kaum aufzuhalten zu sein. Die ungelösten Probleme des Nahen Ostens brechen allerorten wieder auf.

Die mediale Selbstdarstellung des »Islamischen Staats im Irak und Syrien« (Isis) – seit Ausrufung des Kalifats meist nur noch als »Islamischer Staat« (IS) bezeichnet – besteht aus krudester Gewaltpornographie, gepaart mit Bildern von Schafherden, betenden Männern oder Jungen auf einer Spielplatzschaukel. Enthemmter Terror und kitschiges Idyll gehören hier untrennbar zusammen. Als die Jihadisten im Juli weite Teile des Nordirak überrannten, ließen die ersten Aufnahmen von Gefangenenkolonnen Hunderter irakischer Soldaten nichts Gutes erahnen; es waren Bilder, die an die Abgründe des 20. Jahrhunderts erinnerten. Längst sind Videos von Massen­erschießungen dieser Soldaten verbreitet worden, deren Flehen um Gnade die Terrororganisation auch noch genüsslich dokumentiert hat.

Die stolz präsentierten Gewaltakte sollen Angst und Panik verbreiten sowie als Werbung für den jihadistischen Nachwuchs dienen. Denn genau diese Gewaltverherrlichung, gepaart mit dem scheinbar unaufhaltsamen Vormarsch der Isis-Kämpfer, macht das »Kalifat« für seine Klientel von Jihadistenaspiranten aus aller Welt so attraktiv. Die in zeitgemäßem Design daherkommende neue Isis-Propaganda legt von dieser Attraktivität beredt Zeugnis ab. Beim »Al Hayat Media Center« des neuen Gottesstaates spielt vermutlich der ehemalige Berliner Rapper Deso Dogg, der sich vom aktiven Kampf im Frühjahr zurückgezogen haben soll, eine tragende Rolle. Hier werben Kämpfer auf Englisch oder Deutsch für die sogenannten Gotteskrieger. Und es gibt nun auch das Internetmagazin Dabiq vom Isis, das offensichtlich das al-Qaida-Magazin Inspire imitiert. Der Isis beschreibt in seiner Publikation ganz offen die Strategie, die nun so reiche Früchte trägt: das Einsickern in Gebiete mit schwacher staatlicher Kontrolle, der erzwungene Rückzug des staatlichen Militärs in die Ballungszentren und die Übernahme ländlicher Gebiete durch die islamistischen Kämpfer. Nun folgt eine gezielte Ausweitung des Chaos bis zum völligen Zusammenbruchs staatlicher Strukturen, um schließlich die Herrschaft in größeren Regionen zu übernehmen und das entstandene Vakuum mit eigenen staatlichen Strukturen zu füllen.

Ungefähr so hat das bisher auch funktioniert, und es ist eine letztlich nebensächliche Frage, ob die Theorie hier nur den Geschehnissen gefolgt ist oder ob dem Ganzen wirklich eine so weitreichende Strategie zugrunde lag. Der vielleicht irritierendste Umstand an dem Siegeszug des Isis ist die Passivität, mit der alle seine Gegner ihm bisher zugesehen haben. Ungehindert konnten sich die Fahrzeugkolonnen der Islamisten in ihrem über weite Teile flachen und aus der Luft sehr übersichtlichen »Kalifat« bewegen und zu Angriffen formieren. Während der US-amerika­nische Präsident Barack Obama den eher kontraproduktiven Drohnenkrieg gegen Jihadisten im Jemen und in Somalia stark ausgeweitet hat, breiteten sich die Islamisten in Syrien und im Irak seit dem Rückzug der USA 2011 wie unter einem Schutzschirm aus. Erst mit dem drohenden Genozid an Tausenden Yeziden, die in einem Gebirge ohne Versorgung ausharren, dem Massenexodus der assyrischen Christen und schließlich dem drohenden Vormarsch in Richtung der kurdischen Metropole Erbil und damit in die semiautonome nordirakische Kurdenregion kommt es nun zu zögerlichen Reaktionen der US-Armee. Einzelne Luftangriffe auf vorgeschobene Stellungen der Islamisten, einige Abwürfe von Hilfs­lieferungen und die Rettung eines Teils der eingekesselten Yeziden halten den weiteren Vormarsch des Isis an anderen Stellen nicht auf.

Auch die Ankündigung der US-Regierung, Kalaschnikows und Munition an die kurdischen Streitkräfte zu liefern, ist irritierend: Das sind kaum die Sorten von Waffen, an denen es den Kurden mangelt. Sie treten zudem Kämpfern des Isis entgegen, die sich mit dem von den USA gelieferten und von der irakischen Armee zurückgelassenen schweren Gerät aus Mossul ausgerüstet haben.

Ein Ergebnis von Obamas fahrlässiger Syrien-Politik ist, dass ein auf den Irak beschränktes Vorgehen gegen den Isis angesichts des grenzüberschreitenden »Kalifats« und der dominanten Stellung, die es mittlerweile im gesamten Osten Syriens innehat, wenig Sinn ergibt. Die Nahost-Politik der US-Regierung ist angesichts der Miniintervention, zu der sich Obama nun im Nordirak gezwungen sieht, in eine Sackgasse geraten.

Mit der erbeuteten Ausrüstung und den beflügelnden Erfolgen haben die Kämpfer des Isis nach dem Vormarsch im Irak quasi nebenbei die Reste der Freien Syrischen Armee und konkurrierende Islamistengruppen aus dem Euphrattal vertrieben. Nachdem es einer breiten Koalition der syrischen Rebellen Anfang des Jahres in verlustreichen Gefechten gelungen war, Isis im Norden Syriens zurückzudrängen, ist nun die Frage, wann die Hardcore-Islamisten wieder gen Aleppo vorstoßen. Kürzlich kam es auch zu ersten heftigen Angriffen des Isis auf syrische Regierungstruppen, die bis in den Frühsommer de facto bestehende Kooperation zwischen dem Regime Bashar al-Assads und den Jihadisten dürfte nun langsam zu ihrem Ende kommen. Die ungewöhnliche ­Allianz beruhte auf wechselseitigem Nutzen: Solange der Isis damit beschäftigt war, die syrischen Rebellengruppen zu dezimieren, ignorierten die Flugzeuge Assads seine Stützpunkte geflissentlich. Der so offen propagierte islamistische Wahn des Isis war überdies die beste Werbung für das Regime Assads. Angesichts dieser Mordtruppen und ihrer globalen Terrorambi­tionen sind die so oft versprochenen und nie eingetroffenen westlichen Waffenlieferungen an die Rebellen – vor allem Flugabwehrraketen – völlig illusorisch geworden. Assad hat vom Isis erheblich profitiert. Was nun passieren wird, wenn seine ausgelaugten Soldaten nicht mehr schlecht ausgerüsteten, zerstrittenen Rebellengruppen gegenüberstehen, sondern den internationalen Glaubenskämpfern des Isis, ist eine andere Frage. Aber auch hier kann Assad mittlerweile darauf hoffen, dass eine westliche Intervention im Irak sein Überleben nur verlängern wird.

Die Interessenslage der Türkei ist schwieriger zu beurteilen. Ohne die türkische Duldung des Grenzverkehrs der Islamisten wäre der Nachschub an Freiwilligen für den Heiligen Krieg schwierig geworden. Auch Recep Tayyip Erdoğans Präsidentschaftswahlkampf dürfte für die derzeitige Zurückhaltung der türkischen Regierung eine wichtige Rolle gespielt haben. Seit dem Sturm auf Mossul und der Geiselnahme des Personals des gesamten dortigen türkischen Konsulats durch den Isis stecken Erdoğan und sein Außenminister Ahmet Davutoğlu, der offenbar ein Evakuierungsersuchen seines Konsuls zuvor abgelehnt hatte, in einer schwierigen Lage. Erdoğan hat dieses Problem in bezeichnender Weise gelöst, indem er der türkischen Presse einfach untersagte, weiter über die türkischen Geiseln zu berichten. Der Isis kann sich mit seinem Faustpfand jedenfalls ein weiteres Stück türkisches Wohlwollen erpressen, zumal auch seine Angriffe auf die von der – der PKK nahestehenden – PYD kontrollierten syrischen Gebiete für die türkische Regierung von Interesse sind.

Der Rest der umliegenden Staaten hat einfach Angst. In ihren Videos verkünden die Isis-Kämpfer gerne, sie seien demnächst im Libanon, Jordanien und Saudi-Arabien zu finden. Jordanien hat seit dem Auftauchen von Isis-Jeeps an der Grenze zum Irak seine Armee mobilisiert, Saudi-Arabien hat dem Vernehmen nach ägyptische und pakistanische Sondereinheiten zum Grenzschutz eingekauft. Ganz sicher kann sich das Königshaus nicht sein, wie sich seine von wahhabitischen Traditionen geleiteten Soldaten im Falle einer Konfrontation mit Isis-Kämpfern verhalten würden.

Der Erfolg des Isis verschärft die ungelösten Probleme des Nahen Ostens. Der Isis ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Eine weitere Frage wird sein, wie man mit den Massen von gewalt­enthemmten Männern in Zukunft umgeht, die hier ihr Handwerk gelernt haben. Sie kommen aus Saudi-Arabien, der Türkei, dem Maghreb, aber auch aus Europa und nicht zuletzt Deutschland. Diese Männer begreifen den Kampf als Daseinsform. Das könnte man am ehesten mit dem Gewaltpotential in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg vergleichen, als sich ähnliche Gruppen entzivilisierter und hochideologisierter Männer in den rechtsextremen Freikorps sammelten.

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Krieg ohne Grenzen

17. Februar 2015

Aus der Jungle World No.27/ 2014

(zusammen mit Thomas von der Osten-Sacken)

Nicht angeblich künstliche Staaten und westliche Interventionen sind das Problem des Nahen Ostens, sondern Führungsschichten, die ihr Herrschaftsgebiet als Beute betrachten.

Es sollte wohl ein hochsymbolischer Akt sein, als die medienbegeisterten Jihadisten des Islamischen Staates im Irak und Syrien (Isis) mit Hilfe eines Bulldozers eine schmale Schneise in einen Erdwall an der syrisch-irakischen Grenze graben ließen. Sie machten gleich eine Fotostrecke aus dem vorgeblichen Niederwalzen der Sykes-Picot-Grenze, dem nun, so die Botschaft, das grenzenlose Kalifat der Rechtgläubigen folgen würde.

Das war ein origineller Beitrag zu den Feierlichkeiten anlässlich des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges, auch wenn man bei Isis offenbar keine Zeit gefunden hatte, in die Geschichtsbücher zu schauen: Das ursprüngliche französisch-britische Abkommen von 1916 legte eine Trennlinie zwischen den künftigen Einflusssphären fest, die mit Blick auf eine Landkarte ausgehandelt wurde und vom »A« in Akko bis zum »K« in Kirkuk hätte reichen sollen, und so den heutigen Nordirak mit Mossul genauso wie Teile der Südtürkei Frankreich zugeschlagen hätte. Dass die Grenzen dann doch etwas anders gezogen wurden, hatte mit der Rivalität zwischen Großbritannien und Frankreich, den schwierigen Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg und nicht zuletzt dem Umstand zu tun, dass die Briten den Söhnen des Scherifen von Mekka im Gegenzug für ihren Aufstand gegen das osmanische Reich politische Versprechungen gemacht hatten.

Was aber heutzutage die Jihadisten von Isis, altgediente Antiimperialisten und viele Nahost-Kommentatoren eint, ist die Vorstellung, die nun bald 100 Jahre alten nationalstaatlichen Grenzen im Nahen Osten seien nichts als perfide koloniale Konstrukte und ganz besonders »künstlich«. Als ob das Grenzen nicht im Allgemeinen wären. Dem schließt sich dann in der Regel die Behauptung an, die Grenzziehungen nach dem Ersten Weltkrieg seien schuld an der ganzen Malaise des heutigen Nahen Ostens – und George W. Bushs »War on Terror« natürlich. Erinnert sei dabei an Saddam Husseins Überfall auf Kuwait im Jahr 1990, für dessen pseudohistorische Begründung – Kuwait sei eigentlich immer eine Provinz des Irak gewesen und nur von den Briten dem Mutterland schnöde entrissen worden – Medien des Westens damals schon Verständnis zeigten.

Dabei orientierten sich diese Grenzen sogar an den älteren Verwaltungsprovinzen des osmanischen Reichs. Wo sie es nicht taten, wie etwa in »Transjordanien«, das zur Zeit der Grenzziehungen im Grunde nur aus staubigem Hinterland mit ein paar Kleinstädten bestand, existiert heute ein Staat, der gemeinhin sogar als Anker der Stabilität in der Region gilt, auch wenn Isis mit ihren Pickups bereits an der irakisch-jordanischen Grenze auf und ab fährt. Schließlich will man die Region ja bis zum Mittelmeer unter Kontrolle bringen.

Die unzähligen Probleme des Nahens Ostens liegen also kaum in diesen »künstlichen« Grenzen begründet. Da wären viele andere Gründe zu nennen. So scheitern seit 100 Jahren alle Versuche kläglich, ehemalige Untertanen des osmanischen Reiches, die immer zugleich Mitglied eines Stammes, Clans und einer religiösen Gruppe waren, die sie kontrollierten, aber auch schützten, in Bürger moderner Nationalstaaten zu transformieren. Die Zugehörigkeit zur Gruppe, ob sie nun ethnisch oder konfessionell bestimmt war, blieb dominanter Teil der Identität. Wer in Bagdad oder Damaskus die Macht innehatte, war immer primär Vertreter seiner Gruppe, die es zu versorgen und bei Laune zu halten galt. Schon der erste König des Irak, der von den Briten eingesetzte Faisal, wurde von den Sunniten als einer der ihren begrüßt. Im schiitischen Süden des Landes stieß er allenfalls auf geringe Zustimmung. Die irakischen Schiiten würden ebensowenig Gefallen an einem sunnitischen Herrscher finden, wenn nach dem Ende des Ersten Weltkriegs andere oder gar keine Grenzen gezogen worden wären.

Was im Nahen Osten – anders als etwa im Maghreb, aber auch Ägypten – stattgefunden hat, war eben keine Kolonialisierung im klassischen Sinn, selbst wenn ganze Alterskohorten arabischer Linker und Nationalisten auf dieser Behauptung ihr ganzes Weltbild aufgebaut haben. Bis zur Schlussphase des Ersten Weltkriegs war der Nahe Osten Teil des osmanischen Reiches, die direkte Mandatsherrschaft währte dann nur rund 25 Jahre. Es war die Herrschaft von ausgepowerten Mächten, die weder den Willen noch die Ressourcen besaßen, die von ihnen eroberten Gebiete grundlegend umzustrukturieren. Wesentliche Teile der alten osmanischen Verwaltungs- und Herrschaftsstruktur blieben erhalten – in Resten bis heute. Diese »Kolonialherrschaft« war im Grunde von Beginn an ein Rückzug auf Raten. Während ein französischer General nach dem Einzug in Damaskus mit großer Geste ans Grab von Saladin trat, um als neuer »Kreuzritter« mitzuteilen, man sei »wieder da«, musste sich Winston Churchill als Kriegsminister schon mit einem verheerenden Aufstand im Irak herumschlagen, dessen Verlauf äußerst ungut an die jüngste Vergangenheit erinnert. Inklusive des Problems, dass der Einsatz im Irak teuer und unpopulär bei den britischen Wählern war und das Problem Irak von der Mandatsmacht bald vor allem unter dem Gesichtspunkt der Kostenreduzierung betrachtet wurde.

Eine weitere Mär ist die jüngst wieder gerne verbreitete Vorstellung, die innerirakischen Spannungen seien vor allem ein Produkt westlicher Interventionen – hätte man die Region nur in Ruhe gelassen, bestünde sie heute aus blühenden Landschaften. Als etwa Saddam Hussein 1991 gezwungen wurde, sich aus Kuwait zurückzuziehen, erhoben sich im Süden des Irak die Menschen gegen die Diktatur der Ba’ath-Partei. Die USA schauten dann zu, wie Saddam diesen Aufstand mit äußerster Brutalität niederschlagen ließ. Auf die Panzer seiner Eliteeinheit, der Republikanischen Garde, war damals der Spruch »Morgen wird es keine Schiiten mehr geben« gepinselt. Im Süd­irak wurden Hunderttausende massakriert.

Der hasserfüllte Kleinkrieg zwischen Sunniten und Schiiten im Irak hat keineswegs erst 2003 begonnen, als die USA Saddam Hussein dann doch noch stürzten. Er war längst im Gange, weil die irakische Ba’ath-Partei, deren Machbasis in ­jenen Gebieten lag, die derzeit unter Kontrolle von Isis stehen, im Kern sunnitisch war und auch in ihrer Abneigung gegen die Schia jedem wahhabitischen Kleriker aus Saudi-Arabien das Wasser reichen konnte. Während unter Saddams Herrschaft nichts zu teuer für sunnitische Städte wie Tikrit und Ramadi war, wurde der schiitische Süden des Landes in Unterentwicklung gehalten. Städte wie Amara oder Nassriyah verfügten nicht einmal über eine geschlossene Abwasserversorgung. Sunnitische Araber stellten in Verwaltung und Militär des Irak die Führung, während ein Großteil der Schiiten gezwungen war, in Slums zu leben.

Mit dem Ende Saddam Husseins und mit großzügiger Unterstützung aus benachbarten Ländern, die alles taten, damit aus der angekündigten Transformation des Irak in einen föderalen und einigermaßen demokratischen Staat nichts werde, kehrten die Verhältnisse sich um. Nun sahen schiitische Parteien ihre Stunde gekommen, im sunnitischen Dreieck dagegen fanden Islamisten und Alt-Ba’athisten genug Unterstützung, um einen Kleinkrieg gegen die neue irakische Regierung zu beginnen, der an Brutalität sogar für den Nahen Osten ein Novum war.

Von Ideen einer föderalen Neugestaltung des Landes, regionaler Autonomie und gerechterer Ressourcenverteilung hielt man wenig. Die gestürzten Eliten des Irak, fast ausschließlich Sunniten, wollten die Kontrolle über das ganze Land zurück, so illusorisch dieses Ziel angesichts der herrschenden Machtverhältnisse auch erschien. Nur bei den Kurden im Norden des Landes, die wohl auch am meisten von den neuen Verhältnissen profitierten, fanden Konzepte von Regionalisierung und Föderalisierung Rückhalt.

Als dann Führer sunnitischer Gruppen und Parteien sich erstmals in der Geschichte des Irak 2011 eines anderen besannen, Träume von panarabischen oder islamischen Großreichen hintanstellten und monatelang friedlich für mehr Autonomie und gegen die schiitische Dominanz der Zentralregierung in Bagdad demonstrierten, ließ diese sie zusammenschießen. Von Regionalisierung und lokaler Autonomie wollte man nichts hören, Sunniten stellten nun eine lästige Minderheit im Lande dar, die es militärisch zu unterwerfen galt. Tage bevor Isis alles überrollte, war das irakische Militär so weit, wie die syrische Luftwaffe barrel bombs über Wohngebieten in Ramadi abzuwerfen. Irakische Sunniten klagten, Ironie der Geschichte, Ministerpräsident Nouri al-Maliki und seine iranischen Verbündeten seien schlimmer als Saddam Hussein.

Im einen wie im anderen Fall verstehen klientelistische, korrupte Führungsschichten unter Regieren wenig mehr, als den Staat als Beute zu behandeln. Ein anderes Verhältnis zum Nationalstaat der Moderne hat sich im arabischen Kern­gebiet des Nahen Ostens nie wirklich entwickelt. Wie 1991 im Süden zeigen sich dieser Tage im sunnitischen Dreieck ebenso wie im benachbarten Syrien die Folgen. Diese Länder verwandeln sich in das, was sie immer schon de facto waren: gescheiterte Staaten. Nicht anders wird es einem sunnitischen oder schiitischen Gebilde ergehen, sollte denn die Region entlang konfessioneller Linien aufgeteilt werden. Nach möglichen neuen Grenzen wird gerade fieberhaft in den Büros westlicher Zeitungen und Think Tanks gesucht, wo man sich über Karten des Nahen Osten so beugt, wie es vor 100 Jahren britische und französische Kolonialbeamte taten.

Sicher streben Isis auf der einen und schiitische Milizionäre und Apokalyptiker mit ihren Unterstützern im Iran auf der anderen Seite einen neuen Nahen Osten an. Ihnen geht es dabei um vieles, die Justierung nationaler Grenzen gehört nicht dazu, schließlich träumen sie von einem islamischen Reich, das per definitionem keine irdischen Grenzen kennt. Das islamische Kalifat, das Isis am Wochenende ausrufen ließ, ist nicht mittelalterlich, sondern die postmoderne Aufhebung des Nationalstaates und seine Transformation in ganglands unmittelbarer religiös legitimierter Herrschaft. Der neue Kalif, Abu Bakr al-Baghdadi, sei, hieß es in einer entsprechenden Erklärung, fortan legitimer Herrscher aller Muslime.

Wenn auf der anderen Seite vor dreieinhalb Jahren, als es überall in der Region zu Massenprotesten kam, westliche Beobachter erstaunt feststellten, dass die Parolen der sogenannten arabischen Straße irgendwie nach dem Europa von 1848 klangen, lag das keineswegs nur an eurozentrischen Sichtweise, sondern entsprach vielmehr populären Forderungen nach Demokratisierung und Partizipation. Es mag Regionen der Welt geben, in denen neue Grenzziehungen geholfen haben, blutige Bürgerkriege zu beenden. Der eigentliche Konflikt im Irak, in Syrien und anderen Ländern des Nahen Ostens ist allerdings keineswegs einer um nationale Grenzen – einzig Kurdistan mag da eine Ausnahme darstellen –, sondern ein Krieg all jener, mal mit- und mal gegeneinander, denen es erklärtermaßen um die Vernichtung von vermeintlich künstlichen Nationalstaaten und dem geht, wofür sie noch immer stehen.

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